DIE SCHATTEN DER VERGANGENHEIT
In dieser
Nacht saß Eragon nachdenklich an dem kümmerlichen Feuer und kaute
auf einem Löwenzahnblatt herum. Ihre Mahlzeit hatte aus
verschiedenen Wurzeln, Samen und Grünzeug bestanden, die Arya in
der Umgebung gesammelt hatte. Roh und ungewürzt war das Ganze nicht
sehr schmackhaft gewesen, aber er hatte sich zurückgehalten, das
Mahl mit einem Vogel oder Kaninchen zu verfeinern, die es hier in
Hülle und Fülle gab, weil er nicht wollte, dass Arya ihn schief
ansah. Überdies war ihm nach dem Gemetzel mit den Soldaten der
Gedanke unerträglich, schon wieder ein Leben zu opfern, und sei es
auch nur das eines Tieres.
Es war schon spät und sie würden am nächsten
Morgen früh aufbrechen müssen, trotzdem machte er keine Anstalten,
sich schlafen zu legen, und Arya auch nicht. Sie saß rechts von
ihm, hatte die Arme um die angezogenen Beine geschlungen und das
Kinn auf die Knie gestützt. Ihr Rock lag um sie herum wie
windzerzauste Blütenblätter.
Das Kinn weit auf die Brust gesenkt,
massierte Eragon sich die rechte Hand mit der linken, um einen tief
liegenden Schmerz zu vertreiben. Ich
brauche ein Schwert, dachte er. Abgesehen davon wäre irgendein Handschutz nicht
schlecht, damit ich mich nicht jedes Mal zum Krüppel mache, wenn
ich jemanden schlagen muss. Das Problem ist nur, ich bin inzwischen
so stark, dass ich Handschuhe mit einer mehreren Zoll dicken
Polsterschicht bräuchte, was ziemlich albern aussähe. Sie wären
viel zu unhandlich und zu warm. Außerdem kann ich ja nicht für den
Rest meines Lebens mit Handschuhen
herumlaufen. Stirnrunzelnd zog er an seinen Fingerknochen
und beobachtete das Spiel des Lichts auf seinen Händen, fasziniert
von der Beweglichkeit seines Körpers. Und
was passiert, wenn ich mit Broms Ring am Finger in einen Kampf
gerate? Die Elfen haben ihn gemacht, also muss ich mich wohl nicht
darum sorgen, dass der Saphir zerbrechen könnte. Aber wenn ich mit
dem Ring am Finger zuschlüge, würde ich mir nicht nur ein paar
Gelenke ausrenken, sondern mir sämtliche Knochen meiner Hand
zertrümmern... und möglicherweise wäre ich nicht in der Lage, den
Schaden zu reparieren... Er ballte die Hände zu Fäusten,
drehte sie hin und her und beobachtete, wie die Schatten zwischen
seinen Fingerknöcheln abwechselnd dunkler und heller
wurden. Vielleicht könnte ich einen
Zauber erfinden, der jeden zu schnellen Gegenstand daran hindert,
meine Hände zu berühren. Moment, nein, das ist Unsinn. Wenn es nun
ein Felsbrocken ist? Oder ein Berg? Ich würde mich bei dem Versuch,
ihn aufzuhalten, umbringen.
Wenn also weder
Handschuhe noch Magie funktionieren, hätte ich gern ein Paar von
den Ascûdgamln der Zwerge, ihren
»Stahlfäusten«. Schmunzelnd erinnerte er sich daran, dass
der Zwerg Shrrgnien an jedem Fingerknöchel, mit Ausnahme der
Daumen, einen in eine Metallfassung eingeschraubten Stahlstift
besaß. Diese Nieten erlaubten es ihm, ohne große Angst vor
Schmerzen auf alles einzuschlagen, was er wollte. Und bequem war
das Ganze auch, denn er konnte sie bei Bedarf herausschrauben. Die
Vorstellung gefiel Eragon, aber er hatte nicht vor, sich Löcher in
die Fingerknöchel zu bohren. Außerdem, dachte er, sind meine Knochen dünner als Zwergenknochen,
wahrscheinlich zu dünn, um die Fassungen anzubringen, ohne dass die
Funktion der Gelenke beeinträchtigt wird... Also sind Ascûdgamln keine gute Idee, aber vielleicht
kann ich ja stattdessen...
Er beugte sich dicht über seine Hände und
flüsterte: »Thaefathan.«
Seine Handrücken begannen zu kribbeln und zu
brennen, als wäre er in Brennnesseln gefallen. Das Gefühl war so
intensiv, dass er am liebsten aufgesprungen wäre und sich wie
verrückt gekratzt hätte. Unter Aufbietung all seiner Willenskraft
beherrschte er sich und sah zu, wie seine Fingerknöchel anschwollen
und sich über jedem von ihnen ein halber Zoll dicker weißer Wulst
bildete. Es erinnerte ihn an die hornartigen Ablagerungen, die an
der Innenseite von Pferdebeinen entstanden. Als er mit der Größe
der Höcker zufrieden war, ließ er den magischen Energiestrom
versiegen und betastete die neu entstandene Gebirgslandschaft auf
seinen Händen.
Sie fühlten sich jetzt schwerer und steifer
an als vorher, aber er konnte die Finger immer noch voll
bewegen. Das ist vielleicht
hässlich, dachte er und rieb mit den rauen Vorsprüngen
auf seiner rechten Hand über die Handfläche der
Linken, und die Leute werden mich
vielleicht auslachen, wenn sie es bemerken, aber das macht nichts.
Hauptsache, es erfüllt seinen Zweck und erhält mich im Notfall am
Leben.
Gespannt hieb er mit der Hand gegen einen
Felsbrocken, der zwischen seinen Beinen aus dem Boden ragte. Der
Aufprall stauchte seinen Arm und erzeugte einen dumpfen Laut,
bereitete ihm aber nicht mehr Schmerzen, als wenn er auf ein mit
mehreren Stofflagen gepolstertes Brett geschlagen hätte. Dadurch
ermutigt, holte er Broms Ring aus seinem Bündel und steckte den
kühlen Goldreif an. Dabei überzeugte er sich, dass der
anschließende Höcker höher war als die Ringfassung. Dann hieb er
erneut gegen den Stein. Es gab lediglich ein leises Geräusch wie
von Leder, das auf etwas Hartes trifft.
»Was machst du da?« Arya spähte durch einen
Schleier schwarzen Haares zu ihm herüber.
»Nichts.« Dann streckte er ihr die Hände
hin. »Ich dachte, es sei eine gute Idee, da ich wahrscheinlich
wieder einmal zuschlagen muss.«
Die Elfe betrachtete seine Fingerknöchel.
»Damit wirst du Schwierigkeiten haben, Handschuhe zu tragen.«
»Ich kann sie ja zur Not
aufschneiden.«
Sie nickte und starrte wieder ins
Feuer.
Eragon lehnte sich auf die Ellbogen zurück
und streckte die Beine aus, zufrieden, dass er jetzt auf alles
vorbereitet war, was ihm in unmittelbarer Zukunft an Kämpfen
bevorstehen mochte. Weiter wagte er vorläufig nicht zu denken.
Ansonsten würde er sich nur wieder fragen, wie er und Saphira mit
Murtagh oder Galbatorix fertig werden sollten, und Panik würde ihm
ihre eiskalten Klauen ins Fleisch schlagen.
Er heftete den Blick auf das Zentrum des
flackernden Feuers. Dort, in dem flirrenden Inferno, suchte er zu
vergessen, welche Pflichten und welche Verantwortung auf ihm
lasteten. Doch das unaufhörliche Tänzeln der Flammen versetzte ihn
bald in einen Zustand zwischen Wachen und Träumen, in dem
unzusammenhängende Bruchstücke von Gedanken, Geräuschen, Bildern
und Empfindungen durch seinen Kopf wirbelten wie Schneeflocken am
Winterhimmel. Und inmitten dieses Schneetreibens tauchte das
Gesicht des Soldaten wieder auf, der um sein Leben gebettelt hatte.
Wieder sah Eragon ihn weinen und wieder hörte er sein verzweifeltes
Flehen und wieder spürte er, wie sein Genick brach wie ein nasser
Ast im Wald.
Gequält von diesen Erinnerungen, biss Eragon
die Zähne zusammen und atmete schwer durch die Nase. Kalter Schweiß
brach ihm am ganzen Körper aus. Er warf sich hin und her und
versuchte verzweifelt, den hartnäckigen Geist des Soldaten zu
vertreiben, aber es nützte nichts. Lass
mich in Ruhe!, rief er. Ich
kann nichts dafür. Galbatorix solltest du heimsuchen, nicht mich.
Ich wollte dich nicht umbringen!
Irgendwo in der Dunkelheit heulte ein Wolf.
Aus verschiedenen Richtungen antwortete eine Anzahl anderer Wölfe,
deren Stimmen sich zu einer dissonanten Melodie verbanden. Der
schaurige Gesang ließ Eragons Kopfhaut kribbeln und er bekam eine
Gänsehaut. Dann verschmolz das vielstimmige Geheul einen Moment
lang zu einem einzelnen Ton, der dem Schlachtruf eines angreifenden
Kull glich.
Eragon rutschte unbehaglich hin und
her.
»Was ist los?«, fragte Arya. »Sind es die
Wölfe? Sie tun uns nichts. Sie bringen bloß ihren Welpen bei, wie
man jagt, und sie werden ihre Jungen nicht an Geschöpfe
heranlassen, die so seltsam riechen wie wir.«
»Es sind nicht die Wölfe da draußen«,
erwiderte Eragon und schlang sich die Arme um den Leib. »Es sind
die da drin.« Er tippte sich an die Stirn.
Arya nickte. Es war eine ruckartige,
vogelähnliche Bewegung, die verriet, dass sie kein Mensch war, auch
wenn sie menschliche Gestalt angenommen hatte. »Das ist immer so.
Die Ungeheuer in uns sind viel
schlimmer als die real existierenden. Angst, Zweifel und Hass haben
schon mehr Menschen gelähmt, als es Tiere je vermocht
hätten.«
»Und Liebe«, sagte er.
»Und Liebe«, gab sie zu. »Und auch Habgier
und Neid und jeder andere zwanghafte Trieb, für den die fühlenden
Völker empfänglich sind.«
Eragon musste an Tenga denken, der ganz
allein in dem zerstörten Elfenaußenposten Edur Ithindra lebte,
gebeugt über seinen kostbaren Schatz alter Schriften, auf der
Suche, immer auf der Suche nach der flüchtigen »Antwort«. Doch er
zögerte, den Eremiten Arya gegenüber zu erwähnen, denn ihm war
jetzt nicht danach zumute, über diese seltsame Begegnung zu reden.
Stattdessen fragte er sie: »Macht es dir etwas aus zu töten?«
Aryas grüne Augen wurden schmal. »Weder ich
noch der Rest meines Volkes essen Fleisch, weil wir es nicht
ertragen können, einer anderen Kreatur Schmerzen zuzufügen, um
unseren Hunger zu stillen, und da hast du die Unverschämtheit zu
fragen, ob es uns etwas ausmacht zu töten? Kennst du uns wirklich
so schlecht, dass du uns für eiskalte Mörder hältst?«
»Nein, natürlich nicht«, protestierte er.
»Das habe ich nicht gemeint.«
»Dann sag, was du meinst, und werde nur
beleidigend, wenn es auch deine Absicht ist.«
Eragon wählte seine Worte jetzt mit mehr
Bedacht. »Ich habe Roran dieselbe Frage gestellt, bevor wir den
Helgrind angegriffen haben, oder eine ganz ähnliche. Was ich wissen
möchte, ist: Wie fühlst du dich, wenn du tötest? Was sollte man
fühlen?« Er starrte finster ins Feuer. »Siehst du die Krieger, die
du überwältigt hast, wie sie dich anstarren, so wirklich, wie ich
jetzt vor dir sitze?«
Arya zog die Arme fester um die Knie, ihr
Blick nachdenklich. Eine Flamme loderte empor, als einer der
Nachtfalter, die das Lager umschwirrten,
verbrannte. »Gánga«, murmelte
sie und zeigte mit dem Finger in die Dunkelheit. Flaumweiche Flügel
flatterten auf und die restlichen Falter flogen davon. Ohne den
Blick von dem Haufen brennender Zweige zu wenden, begann sie: »Neun
Monate, nachdem ich Botschafterin wurde, übrigens die einzige
Botschafterin meiner Mutter, um die Wahrheit zu sagen, reiste ich
von den Varden in Farthen Dûr zur Hauptstadt von Surda, was damals
noch ein neues Land war. Bald nachdem meine Begleiter und ich das
Beor-Gebirge verlassen hatten, trafen wir auf eine Bande
umherstreifender Urgals. Wir waren bereit, die Schwerter stecken zu
lassen und unseren Weg fortzusetzen. Aber wie es ihre Art ist,
bestanden die Urgals darauf, Ruhm und Ehre zu erwerben, um ihr
Ansehen bei ihren Stämmen zu verbessern. Unsere Truppe war stärker
als ihre - denn Weldon, Broms Nachfolger als Anführer der Varden,
war bei uns -, und es fiel uns nicht schwer, sie in die Flucht zu
schlagen... An diesem Tag habe ich zum ersten Mal ein Leben
ausgelöscht. Das hat mich noch wochenlang verfolgt, bis mir klar
wurde, dass ich verrückt werden würde, wenn ich immer weiter
darüber nachdächte. Das passiert vielen, und sie werden darüber so
verbittert, dass kein Verlass mehr auf sie ist oder ihr Herz
versteinert und sie die Fähigkeit verlieren, richtig und falsch
voneinander zu unterscheiden.«
»Wie bist du damit fertig geworden?«
»Ich habe mich gefragt, warum ich töte, und
festgestellt, dass meine Motive ehrenwert sind. Dann fragte ich
mich, ob unsere Sache so wichtig ist, dass ich sie weiter
unterstützen will, auch wenn das voraussichtlich von mir verlangen
würde, wieder zu töten. Schließlich beschloss ich, mir immer, wenn
ich an die Toten denken musste, vorzustellen, ich säße im Garten
der Tialdarí-Halle.«
»Hat es funktioniert?«
Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem
Gesicht und steckte sie hinter eins ihrer runden Ohren. »Ja. Das
einzige Mittel gegen das zersetzende Gift der Gewalt ist, Frieden
in sich selbst zu suchen. Es ist nicht leicht, sich dieses
Heilmittel zu verschaffen, aber es lohnt sich.« Sie hielt inne und
fügte dann hinzu: »Atmen hilft auch.«
»Atmen?«
»Langsames, gleichmäßiges Atmen, als würdest
du meditieren. Das ist eine der wirksamsten Methoden, um sich zu
beruhigen.«
Eragon befolgte ihren Rat und begann, ganz
bewusst ein- und auszuatmen. Dabei achtete er darauf, das Tempo
nicht zu verändern und jedes Mal vollständig auszuatmen. Nach einer
Minute löste sich der Knoten in seinem Magen, sein finsterer Blick
entspannte sich und die Gegenwart seines gefallenen Gegners war
nicht mehr so übermächtig... Die Wölfe heulten erneut, aber nach
einem kurzen Anflug von Beklommenheit hörte er ihnen ohne Angst zu,
denn ihr Gebell machte ihn nicht mehr nervös. »Danke«, sagte
er.
Arya antwortete mit einem anmutigen Neigen
des Kinns.
Eine Viertelstunde lang herrschte Schweigen,
bis Eragon schließlich sagte: »Urgals.« Er ließ die Äußerung eine
Weile im Raum stehen, ein verbaler Monolith der Ambivalenz. »Was
hältst du davon, dass Nasuada ihnen erlaubt, sich den Varden
anzuschließen?«
Arya hob einen Zweig am Rand ihres
ausgebreiteten Rockes auf, rollte ihn zwischen den Fingern hin und
her und betrachtete das krumme Stück Holz, als berge es ein
Geheimnis. »Das war eine mutige Entscheidung und ich bewundere sie
dafür. Sie handelt immer zum Besten der Varden, ganz gleich was es
sie kostet.«
»Sie hat viele Varden verärgert, als sie Nar
Garzhvogs Angebot angenommen hat.«
»Und mit der Probe der Langen Messer hat sie
ihre Loyalität zurückgewonnen. Nasuada ist sehr klug, wenn es darum
geht, ihre Position zu behaupten.« Arya schnippte den Zweig ins
Feuer. »Ich hege keine Sympathien für die Urgals, aber ich hasse
sie auch nicht. Anders als die Ra’zac sind sie nicht von Grund auf
böse, eher versessen auf Kriege. Das ist ein erheblicher
Unterschied, auch wenn das für die Familien ihrer Opfer kein Trost
ist. Wir Elfen haben auch schon mit Urgals verhandelt und werden es
notfalls wieder tun. Trotzdem ist es ein zweckloses
Unterfangen.«
Sie musste ihm nicht erklären, warum. Viele
der Schriftrollen, die Oromis Eragon zu lesen gegeben hatte,
widmeten sich den Urgals. Ganz besonders eine: Die Reisen des Gnaevaldrskald. Sie hatte ihn
darüber belehrt, dass die gesamte Kultur der Urgals auf Heldentaten
in der Schlacht beruhte. Männliche Urgals konnten nur durch
Überfälle auf andere Dörfer Ruhm und Ansehen erlangen - dabei
spielte es keine große Rolle, ob es sich um Urgal-, Menschen-,
Elfen- oder Zwergendörfer handelte - oder durch Zweikämpfe mit
ihren Rivalen, manchmal bis zum Tod. Und wenn es an der Zeit war,
einen Gefährten zu wählen, weigerten sich Urgalfrauen, einen
Artgenossen in Betracht zu ziehen, der nicht wenigstens drei Gegner
geschlagen hatte. So blieb jeder neuen Urgalgeneration nichts
anderes übrig, als sich gegenseitig herauszufordern und das Land
nach Gelegenheiten zu durchkämmen, ihren Mut unter Beweis zu
stellen. Diese Tradition war so tief verwurzelt, dass jeder
Versuch, sie abzuschaffen, scheiterte. Immerhin bleiben sie sich selbst
treu, überlegte Eragon. Das ist
mehr, als die meisten Menschen von sich behaupten
können.
»Wie kam es«, fragte er, »dass Durza dich,
Glenwing und Fäolin zusammen mit Urgals überfallen konnte? Hattet
ihr keine Schutzzauber, um euch vor körperlichen Angriffen zu
bewahren?«
»Die Pfeile waren verzaubert.«
»Waren die Urgals denn Magier?«
Arya schloss die Augen und schüttelte
seufzend den Kopf. »Nein. Es war irgendeine schwarze Magie, die
Durza gewirkt hatte. Er hat sich damit gebrüstet, als ich in
Gil’ead war.«
»Ich weiß gar nicht, wie du dich so lange
gegen ihn wehren konntest. Ich habe ja gesehen, was er dir angetan
hat.«
»Es... es war nicht einfach. Ich habe die
Qualen, die er mir auferlegte, als Probe meiner Hingabe an die
Sache angesehen, als Chance, zu beweisen, dass ich keinen Fehler
gemacht hatte und des Yawë-Zeichens würdig war. Insofern habe ich
die harte Prüfung begrüßt.«
»Aber selbst Elfen sind nicht immun gegen
Schmerz. Es ist erstaunlich, dass du den Standort Ellesméras all
die Monate vor ihm geheim halten konntest.«
Ein Anflug von Stolz schwang in ihrer Stimme
mit, als sie hinzufügte: »Nicht nur den Standort Ellesméras, auch
wo ich Saphiras Ei hingeschickt hatte, meinen Wortschatz in der
alten Sprache und alles andere, was für Galbatorix von Nutzen hätte
sein können.«
Das Gespräch brach ab, zögernd begann es
Eragon erneut: »Denkst du viel daran, was du in Gil’ead
durchgemacht hast?« Als sie nicht reagierte, fügte er hinzu: »Du
redest nie darüber. Du erzählst zwar bereitwillig, wie sie dich
gefangen genommen haben, aber du erwähnst nie, wie es für dich war
oder wie du es heute empfindest.«
»Schmerz ist Schmerz«, erwiderte sie. »Das
muss man nicht extra beschreiben.«
»Richtig, aber es zu verdrängen, kann dir
tiefere Wunden zufügen als die ursprüngliche Verletzung... Niemand
kann so etwas überstehen, ohne Schaden zu nehmen. Zumindest nicht
seelisch.«
»Warum nimmst du an, dass ich mich nicht
bereits jemandem anvertraut habe?«
»Wem denn?«
»Spielt das eine Rolle? Ajihad, meiner
Mutter, einer Freundin in Ellesméra...«
»Vielleicht irre ich mich ja«, sagte er,
»aber du wirkst nicht, als hättest du so enge Vertraute. Du bist
immer allein, wo du auch hingehst, sogar unter deinen eigenen
Leuten.«
Arya verzog keine Miene. Ihre
Ausdruckslosigkeit war so vollkommen, dass Eragon sich fragte, ob
sie überhaupt noch antworten würde. Als der Zweifel gerade zur
Gewissheit geworden war, flüsterte sie auf einmal: »Das war nicht
immer so.«
Eragon wagte nicht, sich zu rühren, aus
Angst, sie könnte wieder verstummen.
»Einst hatte ich jemanden, mit dem ich reden
konnte, jemanden, der verstand, wer ich war und woher ich kam.
Einst … Er war älter als ich, aber wir waren verwandte Seelen.
Beide neugierig auf die Welt jenseits unseres Waldes, voller
Entdeckerdrang. Wir brannten darauf, gegen Galbatorix zu kämpfen.
Wir ertrugen es beide nicht, in Du Weldenvarden zu bleiben - zu
lernen, Zauber zu wirken und unsere eigenen Pläne zu verfolgen -,
während der Drachentöter, das Verderben der Drachenreiter, nach
einem Weg suchte, unser Volk zu erobern. Er gelangte später zu
diesem Schluss als ich - Jahrzehnte, nachdem ich meinen Posten als
Botschafterin angenommen hatte, und ein paar Jahre, bevor Hefring
Saphiras Ei stahl -, aber von da an erbot er sich, mich zu
begleiten, wohin mich Islanzadis Befehl schicken würde.« Sie
blinzelte und ihre Kehle zuckte. »Ich wollte das nicht, aber die
Idee gefiel der Königin, und er war so überzeugend...« Sie schürzte
die Lippen und blinzelte erneut und ihre Augen leuchteten ungewohnt
hell.
So behutsam er konnte, fragte Eragon: »War
es Fäolin?«
»Ja«, sagte sie und es hörte sich fast an
wie ein Stoßseufzer.
»Hast du ihn geliebt?«
Arya warf den Kopf zurück und blickte zum
glitzernden Sternenhimmel empor, ihr langer Hals vom Licht des
Feuers vergoldet, das Gesicht bleich im fahlen Licht des Himmels.
»Fragst du das aus freundschaftlicher Anteilnahme oder aus eigenem
Interesse?« Sie stieß ein kurzes, ersticktes Lachen aus, das sich
anhörte wie Wasser, das auf kalten Fels trifft. »Schon gut. Die
Nachtluft verwirrt mich. Sie hat mir die Höflichkeit ausgetrieben,
und jetzt sage ich die gehässigsten Dinge, die mir
einfallen.«
»Macht nichts.«
»Doch, denn es tut mir leid und ich sollte
mich nicht so gehen lassen. Ob ich Fäolin geliebt habe? Wie würdest
du Liebe definieren? Wir sind mehr als zwanzig Jahre zusammen
gereist, die einzigen Unsterblichen unter den kurzlebigen Völkern.
Wir waren Weggefährten... und Freunde.«
Ein Anfall von Eifersucht traf Eragon. Er
kämpfte dagegen an, unterdrückte das Gefühl und versuchte, es
loszuwerden, aber es gelang ihm nicht ganz. Ein kleiner Rest, wie
ein Splitter unter der Haut, blieb zurück.
»Mehr als zwanzig Jahre«, wiederholte Arya.
In die Betrachtung des Sternenhimmels versunken, wiegte sie sich
vor und zurück und schien Eragon gar nicht mehr wahrzunehmen. »Und
dann hat mir Durza all das in einem einzigen Augenblick genommen.
Fäolin und Glenwing waren die ersten Elfen seit beinahe hundert
Jahren, die im Kampf ihr Leben ließen. Als ich sah, wie Fäolin
fiel, begriff ich, dass das Schlimmste am Krieg nicht ist, selbst
verwundet zu werden, sondern mitansehen zu müssen, wie andere, die
man gern hat, verletzt werden. Das war eine Lektion, die ich
eigentlich schon bei den Varden gelernt zu haben glaubte, als die
Männer und Frauen, die ich achtete, einer nach dem anderen durch
Schwerter, Pfeile, Gift, Unfälle oder an Altersschwäche starben.
Diese Verluste hatten mich allerdings nicht so persönlich
getroffen. Als es dann passierte, dachte ich: ›Jetzt muss ich
sicher auch sterben.‹ Denn in welche Gefahren Fäolin und ich auch
geraten waren, wir hatten sie stets gemeinsam überlebt, und wenn er
diesmal nicht davongekommen war, warum sollte es dann mir
gelingen?«
Eragon merkte, dass sie weinte, dicke Tränen
rannen ihr aus den Augenwinkeln die Schläfen hinab ins Haar. Im
Licht der Sterne sahen sie aus wie Rinnsale aus versilbertem Glas.
Die Tiefe ihrer Trauer erschreckte ihn. Er hatte nicht gedacht,
dass man bei ihr eine solche Reaktion hervorrufen konnte, noch
hatte er es beabsichtigt.
»Und dann kam Gil’ead«, fuhr sie fort. »Das
waren die längsten Tage meines Lebens. Fäolin war nicht mehr, ich
wusste nicht, ob sich Saphiras Ei in Sicherheit befand oder ob ich
es unbeabsichtigt wieder in Galbatorix’ Hände gespielt hatte, und
Durza … Durza stillte die Blutgier der Geister, die ihn
beherrschten, indem er mir die schrecklichsten Dinge antat, die ihm
einfielen. Manchmal, wenn er zu weit ging, heilte er mich
hinterher, damit er am nächsten Morgen von Neuem anfangen konnte.
Wenn er mir irgendeine Chance gelassen hätte, zur Besinnung zu
kommen, hätte ich vielleicht meinen Kerkermeister überlisten
können, so wie du, und das Mittel nicht genommen, das mich daran
hinderte, meine Magie zu benutzen. Aber ich hatte ja nie mehr als
ein paar Stunden Ruhe.
Durza brauchte nicht mehr Schlaf als du oder
ich und er stürzte sich auf mich, wann immer ich bei Bewusstsein
war und es seine anderen Pflichten erlaubten. Wenn er mich
bearbeitete, war jede Sekunde so lang wie eine Stunde, jede Stunde
so lang wie eine Woche und jeder Tag eine Ewigkeit. Er war
vorsichtig, damit er mich nicht in den Wahnsinn trieb - das hätte
Galbatorix nicht gefallen -, aber er war nah dran, verdammt nah.
Ich fing an, Vögel singen zu hören, wo keine waren, und Dinge zu
sehen, die es gar nicht gab. Einmal durchflutete goldenes Licht
meine Zelle und mir wurde ganz warm. Als ich aufschaute, stellte
ich fest, dass ich hoch oben in einem Baum auf einem Ast saß, in
der Nähe des Zentrums von Ellesméra. Es war kurz vor
Sonnenuntergang und die ganze Stadt leuchtete, als stünde sie in
Flammen. Die Äthalvard sangen auf dem Weg unter mir, und alles war
so ruhig und friedlich und so schön, dass ich am liebsten für immer
dort geblieben wäre. Aber dann schwand das Licht und ich lag wieder
auf meiner Pritsche … Das hatte ich völlig vergessen... aber da war
einmal ein Soldat, der ließ eine weiße Rose in meiner Zelle liegen.
Das war das einzige Mal, dass irgendjemand in Gil’ead nett zu mir
war. In dieser Nacht schlug die Rose Wurzeln und wurde zu einem
riesigen Rosenstock, der an der Wand hinaufkletterte, sich einen
Weg durch die Steinblöcke an der Decke sprengte und sich aus dem
Kerker hinaus ins Freie kämpfte. Dann wuchs er weiter, bis er an
den Mond stieß und als großer gewundener Turm dastand, der eine
Fluchtmöglichkeit versprach, wenn ich nur hätte aufstehen können.
Ich versuchte es mit jedem bisschen Kraft, das ich noch hatte, aber
es gelang mir nicht, und als ich wegschaute, verschwand der
Rosenbusch... Das war mein Geisteszustand, als du von mir geträumt
hast und ich deine Gegenwart über mir schwebend spürte. Kein
Wunder, dass ich das Gefühl nur für eine weitere Täuschung
hielt.«
Sie lächelte matt. »Und dann kamst du,
Eragon. Du und Saphira. Nachdem mich schon alle Hoffnung verlassen
hatte und ich kurz davor stand, zu Galbatorix nach Urû’baen
gebracht zu werden, kam ein Drachenreiter, um mich zu retten. Ein
Reiter und ein Drache!«
»Und Morzans Sohn«, sagte er.
»Morzans beide Söhne.«
»Nenn es, wie du willst. Es war eine so
unwahrscheinliche Rettung, dass ich gelegentlich denke, ich bin
verrückt geworden und bilde mir seitdem alles nur ein.«
Sie tupfte sich mit dem linken Ärmel die
Augen trocken. »Als ich in Farthen Dûr aufgewacht bin, gab es viel
zu viel für mich zu tun, um mich mit der Vergangenheit zu
beschäftigen. Aber die jüngsten Ereignisse waren so finster und
blutig, dass ich mich zunehmend dabei ertappe, wie ich mich an
Dinge erinnere, über die ich besser nicht mehr nachdenken sollte.
Sie machen mich wütend und bringen mich durcheinander und ich habe
keine Geduld mehr für die alltäglichen Herausforderungen des
Lebens.« Sie kniete sich hin und legte die Hände rechts und links
neben sich auf den Boden, um sich zu beruhigen. »Du sagst, ich
wandle allein. Die Elfen neigen nicht dazu, Freundschaften so offen
zu zeigen wie Menschen und Zwerge, und ich war immer schon ein
Einzelgänger. Aber wenn du mich vor Gil’ead gekannt hättest, so wie
ich früher war, würdest du mich nicht für distanziert und
verschlossen halten. Damals konnte ich singen und tanzen und hatte
nicht ständig das Gefühl, etwas Verhängnisvolles stünde
bevor.«
Eragon legte die rechte Hand auf ihre linke.
»In den alten Heldengeschichten wird nie erwähnt, dass das der
Preis ist, wenn man mit den Ungeheuern der Finsternis und den
Abgründen des Geistes ringt. Denk einfach weiter an die Gärten der
Tialdarí-Halle, dann geht es dir bestimmt wieder gut.«
Arya ließ die Berührung fast eine Minute
lang zu, während der Eragon keine wilde Leidenschaft empfand,
sondern einfach nur tiefe Zuneigung. Er machte keinen Versuch, sie
zu bedrängen, denn ihr Vertrauen war ihm wichtiger als alles andere
auf der Welt, mit Ausnahme seiner Verbindung zu Saphira, und er
wäre lieber in die Schlacht gezogen, als es aufs Spiel zu setzen.
Dann hob Arya die Hand ein wenig an und er zog seine ohne Murren
zurück.
In dem sehnlichen Wunsch, sie ein wenig
aufzuheitern, sah Eragon auf den Boden neben sich und murmelte dann
so leise, dass es fast nicht zu hören war: »Loivissa.« Von der Kraft des wahren Namens
geleitet, durchkämmte er die Erde um seine Füße herum, bis sich
seine Finger um das schlossen, was er suchte: eine dünne
papierartige Scheibe, halb so groß wie der Nagel seines kleinen
Fingers. Mit angehaltenem Atem legte er sie sich, so behutsam er
konnte, in die rechte Handfläche genau auf die Gedwëy Ignasia. Dann
rief er sich, um ja keinen Fehler zu machen, noch einmal ins
Gedächtnis, was Oromis ihm über die Beschwörung beigebracht hatte,
die er gleich sprechen wollte, und fing nach Elfenart weich und
fließend zu singen an:
Eldhrimner O Loivissa
nuanen, Dautr abr Deloi,
Eldhrimner nen ono weohnataí medh Solus un Thringa,
Eldhrimner un fortha onr Fëon Vara,
Wiol allr sjon.
Eldhrimner nen ono weohnataí medh Solus un Thringa,
Eldhrimner un fortha onr Fëon Vara,
Wiol allr sjon.
Eldhrimner O Loivissa
nuanen...
Wieder und wieder intonierte Eragon diese
vier Zeilen über dem braunen Blättchen in seiner Hand. Die winzige
Scheibe zitterte und schwoll allmählich zu einer Kugel an. Aus
ihrer Unterseite sprossen ein bis zwei Zoll lange weiße Wurzeln,
die ihn kitzelten, und oben bohrte sich ein dünner grüner Stängel
durch die Schale und wuchs auf sein Drängen hin fast einen Fuß in
die Höhe. Seitlich bildete sich ein einzelnes großes flaches Blatt.
Dann blähte sich die Spitze des Stängels auf, neigte sich und
spaltete sich nach einem Augenblick scheinbarer Untätigkeit in fünf
Teile, die sich nach außen bogen und die wächsernen Blütenblätter
einer glockenförmigen hellblauen Lilie freigaben.
Als die Blume ihre volle Größe erreicht
hatte, ließ Eragon den Energiestrom verebben und betrachtete sein
Kunstwerk. Das Besingen von Pflanzen auf magische Weise war eine
Fertigkeit, die fast jeder Elf von Kindesbeinen an beherrschte,
aber Eragon hatte es erst ein paarmal versucht und war sich nicht
sicher gewesen, was dabei herauskommen würde. Der Zauber hatte ihm
einen hohen Preis abverlangt. Die Lilie erforderte ein
erstaunliches Maß an Energie, um das Wachstum von eineinhalb Jahren
zu bündeln.
Zufrieden mit seinem Werk, hielt er Arya die
Lilie hin. »Es ist zwar keine weiße Rose, aber...«, sagte er
achselzuckend und lächelte verlegen.
»Das hättest du nicht tun sollen. Aber ich
freue mich, dass du es getan hast.« Sie strich zärtlich über die
Unterseite der Blüte und hob sie leicht an, um daran zu riechen.
Die Kummerfalten in ihrem Gesicht glätteten sich und sie bewunderte
die Blume ein paar Minuten lang. Dann grub sie neben sich ein Loch
in die Erde und pflanzte die Zwiebel ein. Während sie erneut über
die Blütenblätter strich und die Lilie betrachtete, sagte sie:
»Danke. Einander Blumen zu schenken, ist ein Brauch, den unsere
beiden Völker gemeinsam haben, aber wir Elfen messen ihm größere
Bedeutung bei als die Menschen. Er steht für alles, was gut ist:
Leben, Schönheit, Wiedergeburt, Freundschaft und noch viel mehr.
Ich erkläre dir das, damit du verstehst, wie viel mir dieses
Geschenk bedeutet. Du konntest es nicht wissen, aber...«
»Ich habe es gewusst.«
Arya sah ihn forschend an, wie um
festzustellen, worauf er hinauswollte. »Verzeih mir. Das ist schon
das zweite Mal, dass ich vergessen habe, was du alles bei uns
gelernt hast. Es soll nicht noch einmal vorkommen.«
Dann wiederholte sie ihren Dank in der alten
Sprache, und Eragon erwiderte - ebenfalls in der alten Sprache -,
es sei ihm ein Vergnügen gewesen und er freue sich, dass ihr sein
Geschenk gefalle. Dabei zitterte er ein wenig, denn er hatte
Hunger, obwohl sie gerade erst gegessen hatten. Arya bemerkte es
und sagte: »Wenn in Aren noch irgendwelche Energie schlummert, dann
nutze sie, um dich zu stärken.«
Eragon musste einen Augenblick nachdenken,
bis ihm einfiel, dass Aren der Name von Broms Ring war. Er hatte
ihn zum ersten Mal von Islanzadi gehört, an dem Tag, als er in
Ellesméra angekommen war. Mein
Ring, sagte er sich. Und ich
sollte aufhören, von ihm als Broms Ring zu denken. Er
warf einen skeptischen Blick auf den großen Saphir, der in der
goldenen Fassung an seinem Finger funkelte. »Ich weiß nicht, ob
noch Energie in ihm steckt. Ich selbst habe nie etwas auf den Ring
übertragen und auch nicht nachgesehen, ob Brom es getan hat.« Noch
während er sprach, streckte er sein Bewusstsein nach dem Saphir
aus. Sobald es mit dem Stein in Berührung kam, spürte er einen
gewaltigen Energiewirbel. Vor seinem inneren Auge pulsierte der
Saphir vor Kraft und er wunderte sich, dass der Stein nicht unter
der geballten Spannung zerbarst. Und nachdem er sich bedient hatte,
um Kummer und Erschöpfung fortzuspülen und seine Glieder wieder zu
kräftigen, war die Schatztruhe im Innern von Aren immer noch fast
voll.
Mit prickelnder Haut löste Eragon
schließlich die Verbindung zu dem Edelstein. Hocherfreut über seine
Entdeckung und das plötzliche Wohlgefühl, lachte er laut auf und
erzählte Arya von seinem Fund. »Brom muss die ganze Zeit über, in
der er sich in Carvahall versteckt hielt, jedes bisschen Energie,
das er erübrigen konnte, in dem Schmuckstück gespeichert haben.« Er
lachte erneut vor Vergnügen. »All die Jahre... Mit der Energie, die
Aren in sich trägt, könnte ich ein ganzes Schloss mit einem
einzigen Zauber niederreißen.«
»Als Saphira schlüpfte, wusste er, dass er
die Energie brauchen würde, um den neuen Drachenreiter zu
schützen«, erklärte Arya. »Außerdem bin ich sicher, dass der Ring
auch ihn beschützt hat, wenn er mit einem Schatten oder einem
ähnlich mächtigen Gegner kämpfen musste. Es war kein Zufall, dass
er fast ein ganzes Jahrhundert lang seine Feinde abwehren konnte...
An deiner Stelle würde ich mir die Energie, die er dir hinterlassen
hat, für die Stunde der größten Not aufheben und sie mehren, wann
immer ich kann. Das ist ein unglaublich wertvoller Schatz, den du
nicht verschwenden solltest.«
Nein, dachte
Eragon, das werde ich auch
nicht. Er drehte den Ring hin und her und erfreute sich
an seinem Glanz im Feuerschein. Seit
Murtagh Zar’roc gestohlen hat, sind der Ring, Saphiras Sattel und
Schneefeuer die einzigen Dinge, die ich noch von Brom habe. Und
obwohl die Zwerge Schneefeuer aus Farthen Dûr mitgebracht haben,
reite ich ihn inzwischen kaum noch. Aren ist wirklich das Einzige,
was mich an ihn erinnert... mein einziges Erbstück. Ich wünschte,
er wäre noch am Leben! Ich hatte nie Gelegenheit, mich mit ihm über
Oromis, Murtagh oder meinen Vater zu unterhalten
oder... ach, die Liste ist endlos.
Was würde er wohl von meinen Gefühlen für Arya
halten? Eragon schnaubte. Ich
weiß, was er sagen würde. Dass ich ein verliebter Narr bin und
meine Zeit mit einer hoffnungslosen Angelegenheit
verschwende... Und damit hätte er
wohl recht, aber was soll ich machen? Sie ist die einzige Frau, mit
der ich zusammen sein möchte.
Das Feuer knisterte und ein Funkenregen
schoss empor. Er schaute mit halb geschlossenen Augen zu und dachte
über Aryas Worte nach. Dann kehrten seine Gedanken zu einer Frage
zurück, die ihn schon seit der Schlacht auf den Brennenden Steppen
beschäftigte. »Arya, wachsen männliche Drachen eigentlich schneller
als weibliche?«
»Nein. Warum fragst du?«
»Wegen Dorn. Er ist erst ein paar Monate alt
und schon fast so groß wie Saphira. Das verstehe ich nicht.«
Arya pflückte einen vertrockneten Grashalm
und fing an, gewundene Schriftzeichen aus der Elfensprache, der
Liduen Kvaedhí, in den losen Sand zu malen. »Wahrscheinlich hat
Galbatorix sein Wachstum beschleunigt, sodass er mit Saphira
mithalten kann.«
»Ach so... Aber ist das nicht gefährlich?
Oromis hat mir erklärt, dass wenn er mich auf magische Weise mit
Kraft, Geschwindigkeit, Ausdauer und allem anderen ausstatten
würde, was ich brauche, ich diese Fähigkeiten nie so gut
beherrschen würde, als wenn ich sie auf dem normalen Weg erlange:
durch harte Arbeit. Und er hatte recht. Noch heute irritieren mich
manche Veränderungen, die die Drachen beim Agaetí Blödhren an
meinem Körper durchgeführt haben.«
Arya nickte und fuhr fort, Schriftzeichen in
den Sand zu kratzen. »Es ist möglich, die unerwünschten
Nebenwirkungen zu reduzieren, aber das ist eine lange und
anstrengende Prozedur. Wenn du deinen Körper zu wahrer
Meisterschaft formen willst, ist es immer noch am besten, sie mit
gewöhnlichen Mitteln zu erreichen. Der Wandel, den Galbatorix Dorn
aufgezwungen hat, muss für den Drachen ungeheuer verwirrend sein.
Er hat jetzt den Körper eines fast ausgewachsenen Tieres, aber sein
Verstand ist immer noch der eines Welpen.«
Eragon betastete die neuen Höcker an seinen
Fingerknöcheln. »Weißt du vielleicht auch, warum Murtagh so mächtig
ist... viel mächtiger als ich?«
»Wenn ich es wüsste, würde ich zweifellos
auch verstehen, wie es Galbatorix gelungen ist, seine eigene Kraft
auf ein so unnatürliches Ausmaß zu steigern. Aber leider weiß ich
es nicht.«
Oromis weiß
es, dachte Eragon. Zumindest hatte der Elf so etwas
angedeutet. Aber er musste es Eragon und Saphira erst noch
verraten. Sobald sie nach Du Weldenvarden zurückkehren konnten,
wollte er den älteren Drachenreiter danach fragen. Er muss es uns jetzt sagen! Murtagh konnte uns nur
besiegen, weil wir es nicht wussten, und er hätte uns leicht zu
Galbatorix verschleppen können. Fast hätte er Arya von
Oromis’ Andeutung erzählt, aber er hielt den Mund. Er hatte gerade
begriffen, dass der Elf diese entscheidende Information nicht über
hundert Jahre für sich behalten hätte, wenn Verschwiegenheit hier
nicht von allergrößter Wichtigkeit wäre.
Arya setzte jetzt ein Schlusszeichen an das
Ende des Satzes, den sie auf den Boden geschrieben hatte. Eragon
beugte sich zu ihr hinüber und las:Umhertreibend auf den Meereswellen der Zeit, wandert der
einsame Gott von Küste zu Küste, um die Gesetze des Sternenhimmels
zu bewahren.
»Was bedeutet das?«
»Ich weiß nicht«, sagte sie und verwischte
die Zeile mit einer Armbewegung.
»Wie kommt es eigentlich«, fragte er
bedächtig, während er seine Gedanken ordnete, »dass nirgends die
Namen der abtrünnigen Drachen genannt werden? Wir sagen ›Morzans
Drache‹ oder ›Kialandís Drache‹, aber wir nennen sie nie beim
Namen. Sie waren doch sicher genauso wichtig wie ihre Reiter! Ich
kann mich nicht mal daran erinnern, die Namen in den Schriftrollen
gelesen zu haben, die mir Oromis gegeben hat...
dabei müssen sie doch
drinstehen... ja, da bin ich ganz sicher, aber aus irgendeinem
Grund habe ich sie nicht behalten. Ist das nicht seltsam?« Arya
wollte antworten, aber noch bevor sie den Mund öffnen konnte, sagte
Eragon: »Jetzt bin ich zum ersten Mal froh, dass Saphira nicht hier
ist. Ich schäme mich, dass mir das nicht schon früher aufgefallen
ist. Selbst du, Arya, und Oromis und alle anderen Elfen, die ich
kennengelernt habe, nennen sie nicht beim Namen, als wären sie
gefühllose Tiere, die diese Ehre nicht verdienen. Tut ihr das
absichtlich? Weil sie eure Feinde sind?«
»War davon in keiner deiner Lektionen die
Rede?«, fragte Arya. Sie schien aufrichtig erstaunt.
»Ich glaube«, sagte er, »Glaedr hat Saphira
gegenüber einmal etwas davon erwähnt, aber da bin ich nicht ganz
sicher. Ich war gerade mitten im Tanz von Schlange und Kranich,
deshalb habe ich nicht darauf geachtet, was Saphira tat.« Er lachte
etwas verlegen und hatte das Gefühl, ihr das erklären zu müssen.
»Manchmal war es ganz schön verwirrend. Oromis redete mit mir,
während ich auf Saphiras Gedanken horchte, die sich mit Glaedr
unterhielt. Und was es noch schlimmer machte: Glaedr benutzt nur
selten Sprache im eigentlichen Sinn, wenn er mit Saphira
kommuniziert. Er hat die Angewohnheit, eher Bilder, Gerüche und
Empfindungen zu verwenden als Worte. Und statt Namen übermittelt er
ihr Eindrücke von den Leuten und Dingen, die er meint.«
»Kannst du dich an gar nichts erinnern, was
er sagte? Ob Worte oder nicht?«
Eragon zögerte. »Nur daran, dass es um einen
Namen ging, der kein Name war oder so ähnlich. Ich konnte mir
keinen Reim darauf machen.«
»Was er gemeint hat«, sagte Arya,
»war Du Namar Aurboda, die
Verbannung der Namen.«
»Die Verbannung der Namen?«
Sie griff nach dem vertrockneten Grashalm
und schrieb wieder etwas in den Sand. »Das war eins der
bedeutendsten Ereignisse, die während der Kämpfe zwischen den
Drachenreitern und den Abtrünnigen stattgefunden haben. Als die
Drachen erkannten, dass dreizehn von ihnen sie verraten hatten -
dass diese dreizehn Galbatorix halfen, den Rest ihrer Gattung
auszuradieren, und es ziemlich unwahrscheinlich war, dass sie
irgendjemand in ihrer Raserei stoppen konnte -, wurden sie wütend.
So wütend, dass sie ihre Kräfte bündelten und einen ihrer
unerklärlichen Zauber vollbrachten. Gemeinsam beraubten sie die
Verräter ihrer Namen.«
Eragon erstarrte in Ehrfurcht. »Wie war das
möglich?«
»Hab ich nicht gerade gesagt, es war
unerklärlich? Wir wissen nur, dass niemand mehr die Namen der
dreizehn aussprechen konnte, nachdem die Drachen ihren Zauber
gewirkt hatten. Diejenigen, die sich noch an die Namen erinnerten,
vergaßen sie bald. Und obwohl man sie in Schriftrollen und Briefen,
in denen sie aufgezeichnet sind, lesen und sogar abschreiben kann,
wenn man immer nur ein Schriftzeichen auf einmal betrachtet, kommen
sie einem doch vor wie Kauderwelsch. Die Drachen haben lediglich
Jarnunvösk, Galbatorix’ ersten Drachen, verschont, weil es ja nicht
seine Schuld war, dass er von Urgals getötet wurde, und Shruikan,
weil er Galbatorix nicht freiwillig dient, sondern von Galbatorix
und Morzan dazu gezwungen wurde.«
Was für ein
schreckliches Schicksal, seinen Namen zu
verlieren, dachte Eragon. Er fröstelte. Wenn ich eine Sache gelernt habe, seit ich ein
Drachenreiter geworden bin, dann, dass man nie und nimmer einen
Drachen zum Feind haben will. »Und was ist mit ihren
wahren Namen? Haben sie die auch ausgelöscht?«
Arya nickte. »Wahre Namen, Geburtsnamen,
Spitznamen, Familiennamen, Titel, alles. Sie waren danach kaum noch
mehr als gewöhnliche Tiere und konnten nicht mal sagen: ›Ich mag
dies‹ oder ›Ich verabscheue jenes‹ oder ›Ich habe grüne Schuppen‹,
denn das hätte ja bedeutet, dass sie sich selbst benennen. Sie
konnten sich nicht mal mehr Drachen nennen. Wort für Wort zerstörte
der Zauber alles, was sie zu denkenden Kreaturen machte, und die
Abtrünnigen hatten keine andere Wahl, als hilflos zuzusehen, wie
ihre Drachen in völliger Unwissenheit versanken. Diese Erfahrung
war so niederschmetternd, dass darüber mindestens fünf von den
dreizehn Drachen und etliche der Abtrünnigen verrückt geworden
sind.« Arya hielt inne, um die Form eines Schriftzeichens zu
betrachten, dann verwischte sie es und malte es neu. »Die
Verbannung der Namen ist der hauptsächliche Grund dafür, dass heute
so viele Leute glauben, Drachen seien nichts weiter als
Transporttiere, um sich von einem Ort zum anderen zu
bewegen.«
»Das würden sie nicht denken, wenn sie
Saphira einmal begegnet wären«, sagte Eragon.
Arya lächelte. »Nein.« Mit einem Schnörkel
vollendete sie den Satz. Er reckte den Hals und rückte näher, um
die Zeichen zu entziffern. Da stand:Der
Betrüger, der Verleumder, der Taktiker, der mit den vielen
Gesichtern, der das Leben im Tod findet und kein Unheil fürchtet;
er, der durch Türen geht.
»Was hat dich dazu inspiriert?«
»Der Gedanke, dass viele Dinge nicht das
sind, was sie zu sein scheinen.« Staub wirbelte um ihre Hand herum
auf, als sie die Schrift auslöschte.
»Hat irgendjemand schon mal versucht,
Galbatorix’ wahren Namen zu erraten?«, fragte Eragon. »Mir scheint,
das wäre der einfachste Weg, diesen Krieg zu beenden. Um ehrlich zu
sein, ich glaube, es ist vielleicht die einzige Hoffnung für uns,
ihn im Kampf zu besiegen.«
»Warst du zuvor nicht ehrlich zu mir?«,
fragte Arya und ihre Augen funkelten.
Ihre Frage brachte ihn zum Schmunzeln.
»Natürlich. Das ist doch nur eine Redewendung.«
»Und eine ziemlich armselige dazu«, gab sie
zurück. »Außer du bist ein gewohnheitsmäßiger Lügner.«
Eragon wusste einen Moment lang nicht
weiter, dann fand er den Gesprächsfaden wieder. »Ich weiß, es wird
schwer, Galbatorix’ wahren Namen herauszubekommen, aber wenn alle
Elfen und alle Varden, die die alte Sprache kennen, danach suchen
würden, müssten wir ihn doch finden.«
Wie ein blasses Fähnchen hing der
vertrocknete Grashalm zwischen Aryas Daumen und Zeigefinger. Er
zitterte bei jedem Pulsschlag. Sie zwickte mit der anderen Hand in
seine Spitze und riss den Halm der Länge nach auseinander, dann tat
sie dasselbe mit den beiden Hälften. Schließlich flocht sie die
Streifen zu einem steifen Stab. »Galbatorix’ wahrer Name ist kein
großes Geheimnis. Drei verschiedene Elfen - ein Drachenreiter und
zwei gewöhnliche Magier - haben ihn ganz allein und im Abstand von
vielen Jahren entdeckt.«
»Was?!«, rief Eragon.
Ungerührt pflückte Arya einen neuen
Grashalm, riss ihn in Streifen, die sie in die Lücken des Stabes
einfügte und ebenfalls verflocht. »Wir können nur darüber
spekulieren, ob Galbatorix seinen wahren Namen kennt oder nicht.
Ich bin der Meinung, er kennt ihn nicht, denn wie er auch lauten
mag, sein wahrer Name muss so schrecklich sein, dass er es nicht
überleben würde, ihn zu hören.«
»Es sei denn, er ist so böse oder so
wahnsinnig, dass ihn die Wahrheit über seine Untaten nicht berühren
kann.«
»Vielleicht.« Ihre zarten Finger bewegten
sich so schnell beim Biegen, Flechten und Weben, dass sie fast
nicht mehr zu sehen waren. Sie pflückte noch zwei Grashalme. »So
oder so weiß Galbatorix, dass er einen wahren Namen hat wie alle
Geschöpfe und Dinge und dass er eine mögliche Schwachstelle ist.
Irgendwann bevor er seinen Feldzug gegen die Drachenreiter antrat,
hat er einen Zauber gewirkt, der jeden tötet, der seinen wahren
Namen benutzt. Und da wir nicht genau wissen, wie dieser Zauber tötet, können wir uns nicht
gegen ihn wappnen. Du siehst also, warum wir unsere Nachforschungen
fast eingestellt haben. Oromis ist einer der wenigen, die mutig
genug sind weiterzusuchen, wenn auch auf ziemlich umständliche
Art.« Mit zufriedener Miene streckte sie die geöffnete Handfläche
aus, auf der ein erlesenes kleines Schiff aus grünen und weißen
Gräsern saß. Es war nicht mehr als vier Zoll lang, aber so
detailreich, dass Eragon Ruderbänke, eine winzige Reling und
Bullaugen in der Größe von Himbeerkernen erkennen konnte. Der
gebogene Bug ähnelte der Form eines sich aufbäumenden
Drachenkopfes. Und es besaß einen einzigen Mast.
»Es ist wunderschön«, sagte er.
Arya beugte sich vor und
murmelte: »Flauga.« Sie blies
behutsam über das Schiff und es stieg von ihrer Hand auf und
segelte einmal um das Feuer herum. Dann nahm es Fahrt auf, stieg
nach oben und verschwand in den funkelnden Tiefen des
Nachthimmels.
»Wie lange wird es unterwegs sein?«
»Für immer«, sagte sie. »Es holt sich die
Energie von den Pflanzen unter sich. Überall, wo Pflanzen sind,
kann es fliegen.«
Die Vorstellung verwirrte Eragon, und er
fand es auch ziemlich traurig, dass das hübsche Grasschiff bis in
alle Ewigkeit zwischen den Wolken umherreisen würde, nur in der
Gesellschaft von Vögeln. »Stell dir vor, was die Leute in späteren
Jahren für Geschichten darüber erzählen werden.«
Arya faltete die Hände, wie um sie davon
abzuhalten, etwas anderes zu tun. »Es gibt viele solcher
Merkwürdigkeiten auf der Welt. Je länger du lebst und je weiter du
reist, desto mehr von ihnen wirst du begegnen.«
Eragon schaute eine Weile verträumt ins
flackernde Feuer, dann sagte er: »Wenn es so wichtig ist, seinen
wahren Namen für sich zu behalten, soll ich dann einen Zauber
aussprechen, der Galbatorix daran hindert, meinen wahren Namen
gegen mich einzusetzen?«
»Wenn du willst«, sagte Arya, »aber ich
bezweifle, dass es nötig ist. Die wahren Namen sind nicht so leicht
herauszufinden, wie du denkst. Galbatorix kennt dich nicht gut
genug, um deinen Namen zu erraten, und wenn er schon in deinem
Innern wäre und jeden deiner Gedanken ausforschen könnte, dann
wärst du längst an ihn verloren, wahrer Name hin oder her. Wenn es
dich irgendwie tröstet, ich bezweifle sogar, dass ichdeinen wahren Namen erahnen könnte.«
»Nein?« Er war gleichzeitig froh und
enttäuscht, dass sie glaubte, irgendein Teil von ihm wäre für sie
ein Rätsel.
Sie sah ihn an, dann schlug sie die Augen
nieder. »Nein, ich glaube nicht. Könntest du meinen
herausfinden?«
»Nein.«
Stille hüllte das Lager ein. Über ihnen
leuchteten die Sterne kalt und klar. Von Osten kam Wind auf. Er
fuhr über die Ebene, peitschte das Gras und heulte mit dünner, lang
gezogener Stimme, als beklage er den Verlust einer Geliebten. Er
entfachte das Feuer von Neuem und trieb einen Funkenregen nach
Westen davon. Eragon zog die Schultern hoch und schloss den Kragen
seines Wamses enger um den Hals. Der Wind hatte etwas
Unfreundliches an sich. Er nagte mit ungewohnter Heftigkeit an ihm
und schien ihn und Arya vom Rest der Welt zu isolieren. Sie saßen
bewegungslos da, gestrandet auf ihrer winzigen Insel aus Licht und
Wärme, während der gewaltige Strom aus Luft an ihnen vorbeizog und
seinen Schmerz in das einsame weite Land brüllte.
Als die Windböen heftiger wurden und die
Funken weiter vom Feuer wegtrugen, streute Arya eine Handvoll Sand
auf die Zweige. Eragon kniete sich neben sie und schaufelte mit
beiden Händen, um den Prozess zu beschleunigen. Als das Feuer
gelöscht war, hatte er Schwierigkeiten, etwas zu erkennen. Die
Landschaft wirkte gespenstisch, voller tanzender Schatten,
undeutlicher Silhouetten und silbriger Blätter.
Arya war gerade dabei, aufzustehen, hielt
dann aber in halb gebückter Stellung inne, die Arme ausgestreckt,
um das Gleichgewicht zu halten. Höchste Aufmerksamkeit zeichnete
sich in ihrem Gesicht ab. Eragon spürte es ebenfalls: Die Luft war
aufgeladen wie bei einem heraufziehenden Gewitter. Die Härchen auf
seinen Handrücken stellten sich auf und zitterten im Wind.
»Was ist los?«, fragte er.
»Wir werden beobachtet. Egal was passiert,
benutze keine Magie oder du könntest uns damit umbringen.«
»Wer...«
»Pst!«
Er tastete herum, fand einen faustgroßen
Stein, riss ihn aus dem Boden und wog ihn in der Hand.
In der Ferne tauchte ein Bündel glühender
bunter Lichter auf. Sie schossen dicht über dem Gras auf das Lager
zu. Als sie näher kamen, sah er, dass sie ständig größer und
kleiner wurden - von einer winzigen Perle wuchsen sie zu einer
Kugel von mehreren Fuß Durchmesser an und schrumpften dann wieder
-, auch die Farbe wechselte durch alle Schattierungen des
Regenbogens. Jede Kugel war von einem knisternden Strahlenkranz
umgeben, einem Hof aus flüssigen Fühlern, die um sich schlugen und
peitschten, als könnten sie es gar nicht erwarten, dass sich
irgendetwas in ihrem Griff verfing. Die Lichter bewegten sich so
schnell, dass er nicht genau feststellen konnte, wie viele es
waren, aber er schätzte, ungefähr zwei Dutzend. Sie wirbelten ins
Lager und bildeten eine flirrende Mauer um ihn und Arya. Die
Geschwindigkeit, mit der sie sich drehten, zusammen mit dem
Sperrfeuer pulsierender Farben machte Eragon schwindlig und er
musste sich mit der Hand am Boden abstützen. Das Sirren war jetzt
so laut, dass ihm die Zähne klapperten. Er hatte einen metallischen
Geschmack auf der Zunge und die Haare standen ihm zu Berge. Arya
ging es genauso, nur dass ihr Haar viel länger war. Als er zu ihr
hinübersah, fand er den Anblick so komisch, dass er nur mit Mühe
ein Lachen unterdrücken konnte.
»Was wollen die von uns?«, rief er, doch sie
antwortete nicht.
Eine einzelne Kugel löste sich aus der Wand
und schwebte auf Augenhöhe vor Arya. Sie zog sich zusammen und
dehnte sich aus wie ein schlagendes Herz und wechselte dabei von
Königsblau nach Smaragdgrün mit gelegentlichen roten Blitzen. Einer
der Fühler wand sich um eine Haarsträhne von Arya. Es gab einen
scharfen Knall und einen Moment lang leuchtete die Haarsträhne wie
ein Sonnensplitter, dann war sie verschwunden. Eragon stieg der
Geruch von verbranntem Haar in die Nase.
Arya zuckte nicht mit der Wimper. Mit
gelassener Miene hob sie den Arm und legte, bevor Eragon sie daran
hindern konnte, die Hand auf die leuchtende Kugel. Die Kugel wurde
golden und weiß und schwoll an, bis sie mehr als drei Fuß
Durchmesser hatte. Arya schloss die Augen und legte den Kopf in den
Nacken; strahlende Freude überzog ihr Gesicht. Sie bewegte die
Lippen, aber Eragon konnte nicht hören, was sie sagte. Als sie
endete, flammte die Kugel blutrot auf und wechselte dann in
schneller Folge über Rot, Grün, Lila und Orange zu einem so
strahlenden Blau, dass er den Blick abwenden musste. Schließlich
nahm sie ein tiefes Schwarz an, das von einem Kranz zuckender
weißer Ausläufer umgeben war, wie die Sonne während einer
Sonnenfinsternis. Dann hörte die Erscheinung auf, sich zu
verändern, als könne keine Farbe ihre Stimmung angemessen
wiedergeben.
Sie glitt von Arya fort zu Eragon, ein
schwarzes Loch im Gefüge der Erde, umgeben von einer Flammenkrone.
Sie schwebte vor ihm und brummte so intensiv, dass ihm die Augen
tränten. Seine Zunge schien mit Kupfer überzogen zu sein, die Haut
kribbelte und kleine Blitze tanzten auf seinen Fingerspitzen. Ein
bisschen erschrocken fragte er sich, ob er die Kugel ebenfalls
berühren sollte wie Arya. Er sah sie Hilfe suchend an. Sie nickte
und bedeutete ihm weiterzumachen.
Da streckte er die rechte Hand nach der
Kugel aus und zu seiner Überraschung verspürte er Widerstand. Die
Kugel war körperlos, drückte aber gegen seine Hand wie ein
Wasserstrahl. Je näher er ihr kam, desto stärker wurde der Druck.
Mit einiger Anstrengung überwand er die letzten paar Zoll und kam
mit dem Zentrum des Gebildes in Berührung.
Bläuliche Strahlen schossen zwischen Eragons
Handfläche und der Kugeloberfläche hin und her, eine blendende,
fächerartige Erscheinung, die das Licht der anderen Kugeln
überstrahlte und alles in ein blasses Blauweiß tauchte. Eragon
schrie vor Schmerz auf, als sich die Strahlen in seine Augen
bohrten, und zog blinzelnd den Kopf ein. Dann bewegte sich etwas im
Innern der Kugel, als erwache ein zusammengerollter Drache aus dem
Schlaf, und ein fremdartiges Wesen drang in sein Bewusstsein ein,
fegte seinen Schutzwall weg wie trockenes Laub in einem
Herbststurm. Er keuchte. Überirdische Freude erfüllte ihn. Was auch
immer diese Kugel war, sie schien aus purer Glückseligkeit zu
bestehen. Sie freute sich ihres Lebens und alles um sie herum
entzückte sie, mal mehr, mal weniger. Eragon hätte vor lauter Glück
weinen mögen, doch er hatte jetzt keine Kontrolle mehr über seinen
Körper. Das Wesen hielt ihn aufrecht und die schimmernden Strahlen
flackerten noch immer unter seiner Hand hervor, während es durch
seine Knochen und Muskeln huschte, sich ein wenig an den Stellen
aufhielt, wo er verletzt gewesen war, um dann in seinen Geist
zurückzukehren. Trotz seiner Euphorie kam Eragon die Gegenwart des
Wesens so seltsam und gespenstisch vor, dass er ihr entfliehen
wollte, doch in seinem Bewusstsein gab es kein Versteck. Und so
musste er in enger Verbindung mit der feurigen Seele stehen,
während die Kugel mit der Geschwindigkeit eines Elfenpfeils seine
Erinnerungen durchforstete. Er fragte sich, wie sie so schnell so
viele Informationen aufnehmen konnte. Währenddessen wollte er
seinerseits den Geist des Eindringlings erforschen, um so viel wie
möglich über dessen Natur und Ursprung zu erfahren, aber das
Geschöpf wehrte sich gegen seine Versuche, es zu verstehen. Die
wenigen Eindrücke, die er erhaschte, waren so fremdartig, dass sie
ihm unverständlich blieben.
Nach einer letzten, nahezu sekundenschnellen
Rundreise durch seinen Körper zog sich das Wesen zurück und die
Verbindung brach ab, als wäre ein Seil unter zu hoher Spannung
gerissen. Der Strahlenkranz um Eragons Hand verblasste, und zurück
blieb ein grelles pinkfarbenes Nachbild, das über sein Blickfeld
zuckte.
Die Kugel vor Eragons Nase wechselte erneut
die Farbe, schrumpfte auf die Größe eines Apfels zusammen und
reihte sich wieder in den pulsierenden Lichtwirbel seiner Gefährten
ein, der Eragon und Arya umgab. Das Sirren schwoll zu einem fast
unerträglichen Lärm an, dann explodierte der Wirbel und versprengte
die flackernden Kugeln in alle Windrichtungen. Etwa hundert Fuß von
dem schummrigen Lager entfernt schlossen sie sich wieder zusammen
und purzelten dabei übereinander wie spielende Kätzchen. Dann
verschwanden sie rasend schnell nach Süden, als hätte es sie nie
gegeben. Der Wind legte sich und wurde zu einer sanften
Brise.
Eragon fiel auf die Knie und reckte die Arme
in die Richtung, in der die Erscheinung verschwunden war. Er fühlte
sich so leer ohne das Glücksgefühl, das sie ihm geschenkt hatte.
»Was...«, fragte er. Dann musste er erst einmal kräftig husten, so
trocken war seine Kehle. »Was war das?«
»Geister«, sagte Arya und setzte sich.
»Die Geister, die aus Durza fuhren, als ich
ihn getötet habe, sahen aber anders aus.«
»Geister können nach Lust und Laune ganz
unterschiedliche Gestalten annehmen.«
Er blinzelte und wischte sich mit dem
Fingerrücken über die Augenwinkel. »Wie kann man es bloß ertragen,
sie mit Hexerei zu versklaven? Das ist ungeheuerlich. Ich würde
mich schämen, mich einen Magier zu nennen. Und Trianna brüstet sich
immer damit, einer zu sein. Ich werde ihr verbieten, Geister zu
benutzen, sonst werde ich sie aus der Du Vrangr Gata hinauswerfen
und Nasuada bitten, sie aus den Reihen der Varden zu
verbannen.«
»Nicht so hastig!«
»Du findest es doch sicher auch nicht
richtig, dass Magier Geister dazu zwingen, ihrem Willen zu
gehorchen... Sie sind so wunderschön...« Er brach ab und schüttelte
den Kopf, von seinen Gefühlen überwältigt. »Man sollte jeden, der
ihnen etwas antut, verprügeln.«
Mit dem Anflug eines Lächelns sagte Arya:
»Ich nehme an, Oromis hatte das Thema noch nicht angesprochen, als
du mit Saphira Ellesméra verlassen hast.«
»Wenn du die Geister meinst, die hat er ein
paarmal erwähnt.«
»Aber offensichtlich nicht sehr
ausgiebig.«
»Kann sein.«
Ihre Silhouette verschob sich im Dunkeln,
als sie sich auf einen Ellbogen stützte. »Geister lösen immer ein
Gefühl der Verzückung aus, wenn sie mit uns, die wir aus Materie
bestehen, in Verbindung treten, aber lass dich davon nicht
täuschen. Sie sind nicht so wohlmeinend, entgegenkommend und
vergnügt, wie sie es dich glauben machen wollen. Es gehört zu ihrer
Verteidigungsstrategie, diejenigen, mit denen sie interagieren
müssen, bei Laune zu halten. Sie können es nicht ausstehen, an
einem Ort festgehalten zu werden, und haben schon vor langer Zeit
gemerkt, dass die Glücklichen weniger dazu neigen, sie einzusperren
und als Dienstboten zu halten.«
»Ich weiß nicht«, erwiderte Eragon. »Sie
machen einen so froh, dass ich mir vorstellen kann, man möchte sie
eher in seiner Nähe haben, als sie gehen zu lassen.«
Sie zuckte mit den Schultern. »Geister haben
genauso große Schwierigkeiten, unser Verhalten einzuschätzen, wie
wir ihres. Sie haben so wenig mit den anderen Völkern von Alagaësia
gemein, dass eine Verständigung mit ihnen immer riskant ist. Jedes
Treffen steckt voller Gefahren, denn man weiß nie, wie sie
reagieren.«
»Das erklärt alles nicht, warum ich Trianna
nicht von dieser Art von Zauberei abhalten soll.«
»Hast du mal gesehen, wie sie die Geister
dazu bringt, ihren Willen zu erfüllen?«
»Nein.«
»Das dachte ich mir. Trianna ist seit fast
sechs Jahren bei den Varden und hat in dieser Zeit ihr Können genau
einmal unter Beweis gestellt, und das auch erst nach vielem Zureden
von Ajihad und großem Widerstand und eingehender Vorbereitung
ihrerseits. Sie besitzt die nötigen Fähigkeiten - sie ist kein
Scharlatan -, aber Geisterbeschwörung ist äußerst gefährlich und
man befasst sich nicht leichtfertig damit.«
Eragon rieb sich die leuchtende Handfläche
mit dem linken Daumen. Der Lichtschein veränderte sich ein wenig,
da die Haut jetzt stärker durchblutet wurde, aber trotz aller
Anstrengung ließ die Leuchtkraft nicht nach. Er kratzte sich mit
den Fingernägeln über die Gedwëy Ignasia.Hoffentlich hält das nicht länger als ein paar Stunden
an, dachte er. Ich kann ja
nicht als wandelnde Laterne herumlaufen. Das kostet mich womöglich
das Leben. Und albern sieht es auch aus. Wer hat denn jemals von
einem leuchtenden Drachenreiter gehört?
Er dachte daran, was Brom ihm einmal erzählt
hatte. »Es sind keine menschlichen Geister, nicht wahr? Noch die
von Elfen oder Zwergen oder anderen Kreaturen. Das heißt, es sind
keine toten Seelen. Das, wozu wir werden, wenn wir sterben.«
»Nein. Ich weiß, jetzt wirst du als Nächstes
fragen, was sie dann sind. Bitte nicht. Diese Frage sollte dir
Oromis beantworten, nicht ich. Das Studium dieser Art von Zauberei
ist lang und mühsam, wenn man es ordentlich betreibt, und sollte
mit Sorgfalt in Angriff genommen werden. Ich möchte nichts sagen,
was womöglich Oromis’ Unterrichtsplanung durcheinanderbringt. Und
ich will vor allem nicht, dass du irgendetwas ausprobierst, was ich
erwähnt habe, und dich verletzt, nur weil dir die richtige
Anleitung fehlt.«
»Und wann werde ich wohl nach Ellesméra
zurückkehren?«, wollte er wissen. »Ich kann die Varden nicht noch
einmal im Stich lassen, nicht solange Dorn und Murtagh am Leben
sind. Bis wir das Imperium besiegt haben oder das Imperium uns,
müssen Saphira und ich Nasuada unterstützen. Wenn Oromis und Glaedr
unsere Ausbildung tatsächlich beenden wollen, dann sollen sie doch
zu uns kommen und Galbatorix soll verflucht sein!«
»Bitte, Eragon«, sagte sie. »Dieser Krieg
wird nicht so schnell zu Ende sein, wie du denkst. Das Imperium ist
groß und wir haben bisher lediglich an den Rändern gekratzt.
Solange Galbatorix nichts von Oromis und Glaedr weiß, sind wir im
Vorteil.«
»Was ist das für ein Vorteil, wenn sie nie
von ihrem Wissen und ihren Fähigkeiten Gebrauch machen?«, brummte
er. Sie antwortete nicht und im nächsten Augenblick kam ihm sein
Gejammer schon kindisch vor. Oromis und Glaedr brannten mehr als
irgendjemand sonst darauf, Galbatorix zu vernichten, und wenn sie
es vorzogen, in Ellesméra auf den richtigen Zeitpunkt zu warten,
dann hatten sie gute Gründe dafür. Eragon hätte sogar ein paar
davon nennen können, wenn er gewollt hätte. Vor allem den, dass
Oromis keine Zauber wirken konnte, die große Mengen an Energie
erforderten.
Fröstelnd zog er sich die Ärmel bis über die
Finger und verschränkte die Arme. »Was hast du dem Geist
erzählt?«
»Er war neugierig, warum wir magische Kräfte
benutzt haben. Das hat sie auf uns aufmerksam gemacht. Ich habe es
ihm erklärt und auch, dass du derjenige warst, der die Geister
befreit hat, die in Durza gefangen waren. Das hat ihnen anscheinend
sehr gefallen.« Stille breitete sich zwischen ihnen aus. Arya
rutschte zu der Lilie und berührte sie erneut. »Oh!«, sagte sie.
»Sie waren wirklich dankbar. Naina!«
Auf ihr Wort erhellte ein sanftes Licht das
Lager, und er sah, dass der Stängel und das Blatt der Pflanze aus
massivem Gold waren. Die Blütenblätter bestanden aus einem
weißlichen Metall, das er nicht kannte, und als Arya die Blüte nach
oben bog, sah es aus, als wäre der Blütenkelch aus Rubinen und
Diamanten geschnitzt. Verblüfft fuhr Eragon mit dem Finger über das
gebogene Blatt und die metallenen Härchen kitzelten ihn. Als er
sich vorbeugte, konnte er jede Unebenheit, jede Rille, Vertiefung
und Ader und jedes winzige Detail erkennen, mit dem er die Pflanze
verziert hatte. Nur war jetzt alles aus Gold.
»Es ist eine perfekte Kopie!«, sagte
er.
»Und sie ist immer noch lebendig.«
»Nein!« Konzentriert suchte er nach den
leisen Anzeichen von Wärme und Bewegung, die beweisen würden, dass
diese Lilie mehr war als ein lebloser Gegenstand. Da waren sie, so
deutlich, wie sie bei einer Pflanze während der Nacht nur sein
konnten. Erneut betastete er das Blatt und sagte: »Das übersteigt
alles, was ich über Magie weiß. Diese Lilie müsste eigentlich tot
sein. Stattdessen blüht und gedeiht sie. Ich kann mir gar nicht
vorstellen, was man alles aufwenden muss, um eine Pflanze in
lebendiges Metall zu verwandeln. Vielleicht würde Saphira es ja
zuwege bringen, aber sie könnte den Zauberspruch natürlich
niemanden lehren.«
»Die wirklich interessante Frage ist doch«,
sagte Arya, »ob diese Pflanze fruchtbare Samen hervorbringen
wird.«
»Du meinst, sie könnte sich
ausbreiten?«
»Es würde mich nicht wundern. Es gibt
unzählige Beispiele für Magie in Alagaësia, die sich selbst
aufrechterhält, wie den schwimmenden Kristall auf der Insel Eoam
und die Traumzisterne in Manis Kavernen. Es wäre auch nicht
unwahrscheinlicher als eins dieser Phänomene.«
»Das Dumme ist nur, wenn irgendjemand diese
Blume oder ihre Ableger entdeckt, wird er sie alle ausbuddeln.
Sämtliche Schatzjäger des Landes würden herkommen, um die goldenen
Lilien zu pflücken.«
»So leicht wird man sie nicht ausrotten
können, glaube ich. Aber das kann nur die Zeit mit Sicherheit
zeigen.«
Eragon spürte, wie ein Lachen in ihm
aufstieg. Seine Fröhlichkeit kannte fast keine Grenzen mehr: »Ich
habe dieses Sprichwort schon mal gehört: ›die Lilie zu vergolden‹,
aber hier haben die Geister es wörtlich genommen. Sie haben
wirklich die Lilie vergoldet!« Sein Gelächter schallte über die
leere Ebene hinweg.
Aryas Lippen zuckten. »Aber sie haben es gut
gemeint. Wir können ihnen nicht vorwerfen, dass sie die
Redewendungen der Menschen nicht kennen.«
»Nein, aber... ha, ha, ha!«
Arya schnippte mit dem Finger und der
schwache Lichtschein erlosch. »Jetzt haben wir fast die ganze Nacht
verplaudert. Es wird Zeit, uns auszuruhen. Die Morgendämmerung ist
nicht mehr fern und dann müssen wir aufbrechen.«
Eragon streckte sich auf einem weichen
Moosflecken aus, und während er noch immer leise lachte, glitt er
ins Land seiner Wachträume hinüber.